Das Licht kommt zurück

 

Ausstellung im Kunstraum j3fm, Kollenrodtstrasse 58B , 30163 Hannover

Vernissage: 21.10.22, 19 Uhr

Einführende Worte: Bert Strebe

Ausstellung: 22.10.-13.11.22

Öffnungszeiten: freitags 19-20.30 und sonntags 14-16

Eindrücke der Vernissage am 21. Oktober


Das Licht kommt zurück

 

Zu Ursula Bollacks Ausstellungseröffnung im hannoverschen Kunstraum j3fm, 21.10.2022

 

Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, guten Abend. Ich darf hier heute über die Arbeit von Ursula Bollack sprechen, obwohl ich kein Experte für Keramik bin. Und weil das so ist, versuche ich mich auch gar nicht erst in irgendeiner fachlichen oder kunsthistorischen Einsortierung. Stattdessen möchte ich Ihnen und Euch ein Gedicht vorlesen.

 

Es heißt:

  

Septembermorgen

         für Ursula & Wolfgang

  

die nachtkerzen weisen den weg als wir kommen

zwei uhr früh die tür ist offen

 

die steine ums haus herum barfußwarm

von all den sommern von den kindern vom moos

 

im badezimmer kauert der buchsbaumzünsler

er mag nicht mehr reden um diese zeit

die flügelspitzen sind schon in rost getaucht

 

der mond pustet etwas katzengold

auf first und garten und unsere wimpern

 

später zieht er an einer dünnen schnur

den ersten schimmer des tages herauf

und legt ihn unter die sonnenblumen

und über unsere träume

 

das licht kommt zurück die amseln werden blau

und die schwingen der engel und die herzen

Dieses Gedicht habe ich vor ein paar Jahren nach einem Besuch bei Ursula und Wolfgang Bollack in Frauenfeld in der Schweiz geschrieben und den beiden gewidmet, und Sie werden, wenn Sie gleich die Ausstellung anschauen, dort vielleicht das eine oder andere Element aus dem Text wiederfinden – was schlicht daran liegt, dass ich diese Elemente aus Ursulas Arbeiten für das Gedicht geklaut habe.

Ursula Bollack kam 1967 in Winterthur zur Welt und wuchs in Mauren auf, einem Dorf in der Nähe des Bodensees. Sie ist nicht nur Keramikerin, sondern auch Grundschullehrerin, und das mit Leidenschaft. Im Lehrerseminar hat sie zum ersten Mal mit Ton zu tun gehabt, hat die Freude gespürt, etwas mit den Händen formen zu können. 

Ich bin, wie gesagt, kein Experte für Keramik, ich bin nur ein Experte für das, was mich berührt, und die Arbeiten von Ursula haben das unmittelbar getan. Das erste Objekt, das ich beim ersten Besuch bei ihr vor vielen Jahren in die Hand genommen und ihr dann auch gleich abgekauft habe, war ein Gefäß, das Weintrinker an den Bocksbeutel erinnert, ein Bocksbeutel mit einem ausgebrochenen Hals, und es heißt „Die gebeutelte Seele“. Ich kannte mich damals gut aus mit gebeutelten Seelen, und was mich am meisten fasziniert hat, war, dass Ursula dieses graue, ein bisschen düstere Thema aufnimmt – dass sie das aber mit Humor, mit einer leisen Leichtigkeit tut.

Diese leise Leichtigkeit findet sich fast durchgängig in allem, was Ursula Bollack macht. Und das ist umso bemerkenswerter, als ihre Art, Keramiken zu schaffen, eine sehr schwere ist.

Es handelt sich um Raku-Keramik, eine aus Japan stammende Technik, die Ursula ziemlich früh in einem Kursus kennengelernt hat. Normalerweise stellt man roh gebrannte und glasierte Keramiken in einen Ofen, heizt ihn an, brennt die Stücke und lässt alles wieder auskühlen – fertig. Bei Raku-Keramik (ich habe fünf Anläufe gebraucht, um das alles auch nur halbwegs zu verstehen) findet der Rohbrand bei etwa 900 Grad statt. Anschließend wird die flüssige Glasur aufgetragen und das Werkstück wird bei langsam steigenden Temperaturen im Gasofen gebrannt, am Ende können es mehr als 1000 Grad sein. Und dann, wenn die Glasur ausgeschmolzen ist, muss der heiße Ofen geöffnet und das glühende Objekt mit einer langen Zange vorsichtig herausgenommen werden. Es kommt in ein Gefäß mit brennbarem Material – Holzschnitzel, Laub, Stroh, Papier – das sich sofort entzündet. Das ist der sogenannte Nachbrand außerhalb des Ofens. Das brennbare Material bildet sich in der Haut der Werkstücke ab, der Rauch, der Kohlenstoff dringt in Poren und Risse des Tons und färbt ihn, gibt der Glasur ihren Glanz. Raku-Keramiken sind nur sehr begrenzt planbar, sie sind sehr empfindlich, rau und zart zugleich – und jedes Stück ist einzigartig.

So einzigartig wie jeder einzelne Mensch auch. Ursula Bollack hat das beispielsweise in einer Arbeit gezeigt, die „Wir hier“ heißt und aus Gruppen von Figuren besteht, interagierend oder auch nicht, und jede Figur scheint ihr individuelles Inneres auf der Außenhaut zu tragen. „Außen und innen“ ist generell ein Thema bei ihr, die Beziehungen zwischen unserer Fassade und unserem Innenleben, das wir so gern verstecken. Sie hat wunderbare Gefäße geschaffen, U-Boot-artige Gebilde mit oben aufgerissener Hülle, deren Innenleben – kleine verträumte Skulpturen – man austauschen kann, je nachdem, wie man sich gerade fühlt.

Dünnhäutigkeit ist ein weiteres ihrer Themen, etwas, das bei Raku-Keramik sehr schnell an alle möglichen Grenzen stößt, denn je dünner eine Keramik ist, um so schneller geht sie beim Brand kaputt. Ursula Bollack schafft dabei Werke, die so filigran sind, dass schon ihr reiner Anblick einer Meditation ähnelt.

Die für die Ausstellung titelgebende Arbeit „Das Licht kommt zurück“ fängt in einer Reihe von Schalen einzelne Momente eines Sonnenaufgangs ein; das Licht steht erst flach über dem Horizont, steigt dann, und je höher es steigt, um so mehr Licht fangen die Schalen ein. Auf der Internetseite von Ursula Bollack findet man ein Zitat der Keramikerin Marie-France Vilcoq, das dazu passt: „Das Glück des Töpfers ist es, die unmögliche Begegnung von Erde und Himmel gesehen zu haben.“

Das japanische Wort „Raku“ bedeutet „Freude“. Ich freue mich, dass Sie hier sind und jetzt das Glück haben, die Arbeiten von Ursula Bollack und damit die Begegnung von Himmel und Erde anschauen zu können.